Die Berliner Unitarier respektieren und achten wie alle Unitarier alle anderen Religionen als Form und Ausdruck gleichberechtigter Wege der Menschen zu Gott.
Das finde ich so toll und wer mehr wissen möchte: unitarier-berlin.de |
Gottesfeier vom 6. September 2015
Eingangsspruch:
Ein geistreicher Mensch hat, in gänzlicher Einsamkeit, an seinen eigenen
Gedanken und Phantasien vortreffliche Unterhaltung, während von einem Stumpfen die fortwährende Abwechslung von Gesellschaften, Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde
Langeweile nicht abzuwehren vermag.
Arthur Schopenhauer
Schriftlesung:
Wird das Reisen zu leicht und zu bequem gemacht,
so geht sein geistiger Sinn verloren. Allein ein gewisses
Gefühl der Einsamkeit, das auf der Reise entsteht,
führt den Menschen zum Nachdenken über den Sinn des Lebens;
denn das Leben ist schließlich auch eine Reise von einem Unbekannten zum
andern.
Daisetz T. Suzuki
Evangelium: Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf einen Berg allein, daß er betete. Und am Abend war er allein daselbst.
Mt 14, 23
Kurzfassung des Predigttextes
Meine lieben, andächtigen Mitmenschen!
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Dieser Satz aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel wird oft zitiert. Und gewiss ist jedem von uns bewusst, dass wir Menschen nicht alleine im Lebenskampf bestehen können. Denken wir nur an unseren Lebensabend. Wer ist schon so reich, dass er seinen Lebensabend selbst bestreiten kann? Die meisten beziehen „Altersbezüge“, die uns bis zum Lebensende ausgezahlt werden. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es uns heute erscheint. Noch mein Großvater (Jahrgang 1875) hat seine Eltern, als sie nicht mehr arbeiten konnten, in deren Alter unterstützt. Das war ganz selbstverständlich und hat sich erst mit der Einführung der Rentensysteme in Deutschland, dann in Europa und schließlich in der ganzen Welt geändert. In einem der Geschichtsbücher für die siebente Klasse der Berliner Schule gab es ein Bild über das Leben auf dem Bauernhof im Mittelalter. Mit erstaunten Augen sahen da die Kinder, wie ein kleines Mädchen Gänse vor sich her trieb, ein alter Mann einen Holzlöffel schnitzte. Es wurde den Schülern rasch klar,
dass nur ein arbeitsames Miteinander aller Hofbewohner über alle Generationen hinweg die Sicherung des Alltags ermöglichen konnte. (Zugleich bereitete der langfristig planende Lehrer damit schon eine spätere Unterrichtsstunde vor über die Schwierigkeiten, eine allgemeine Schulpflicht durchzusetzen, wenn die Kinder doch als Arbeitskräfte gebraucht wurden.) Eines jedenfalls wurde klar: Wir Menschen brauchen einander, damals wie heute. In der Vergangenheit war das offensichtlicher, in der Gegenwart vielleicht nicht so deutlich. Dabei sind uns die Verflechtungen unserer Gesellschaft nur nicht so bewusst. Drehen Sie doch einfach mal zu Hause den Wasserhahn auf! –
Umso mehr müssen uns die heutigen Testate erstaunen. Sie plädieren alle für die Einsamkeit.
Meine Lieben, lassen Sie sich von diesem Widerspruch nicht irritieren. Tatsächlich brauchen wir Menschen das gemeinschaftliche Leben. Das aber schließt für uns Phasen der Einsamkeit nicht aus. Ob jede Reise für uns mit einem Gefühl der geistigen Tiefe verbunden wird – ich wage es zu bezweifeln. Für den japanischen Philosophen Suzuki war unser heutiger Faktor des Vergnügens und der Ablenkung noch nicht vorstellbar. Trotzdem sollten wir seine Gedanken nicht missachten. Nur die Einsamkeit lässt uns gewisse tiefe Empfindungen in uns selbst erleben. Das wussten die Menschen schon vor zweitausend Jahren. Deshalb stieg Jesus allein auf den Berg!
Auch Suzuki wirbt geradezu für eine Phase der Einsamkeit in unserem Leben und der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer will uns von der oberflächlichen Zerstreuung zurück zu den Tiefen innerer Erkenntnis führen. Gewiss ist niemand von uns ein Eremit. Aber das ist auch nicht notwendig, um uns durch Phasen der Abgeschiedenheit, der äußeren Ruhe, damit wir zur inneren Ruhe kommen, von Zeit zu Zeit zu den Quellen innerer Weisheit zu wandern.
Lassen Sie mich deshalb meine heutige Ansprache mit einem Gedicht von
Gottfried Benn beschließen. Er spricht zu uns:
Einsamer nie als im August:
Erfüllungsstunde –, im Gelände
Die roten und die goldenen Brände,
Doch wo ist Deiner Gärten Lust?
Die Seen hell, die Himmel weich,
Die Äcker rein und glänzen leise,
Doch wo sind Sieg und Siegesbeweise
Aus dem von dir vertretenen Reich?
Wo alles sich durch Glück beweist
Und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
Im Weingeruch, im Rausch der Dinge –:
Dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen, wünsche ich uns allen eine gesegnete Zeit.
Amen
(Predigt: Pfarrer Martin Schröder)